Sind Sie auch urlaubsreif?
von Friederike Bräuchle

Wenn Sie mich schon fragen – Ja. Meinen Aufgaben täglich nachzukommen versuchen, beansprucht mein Nervenkostüm und zehrt an den Kräften, je älter ich werde, desto schneller. Ja, ich bin urlaubsreif – aber bin ich auch „reif für den Urlaub“? Oder sollte ich eher sagen: „Ich bin reif für die Insel“, im Sinne von „nur weg, nur raus“? Ursprünglich spricht man von einer reifen Frucht, wenn sie zum Optimum herangereift und damit zu pflücken ist. Wenn ein Mensch gereift ist, dann hat er sich eine gewisse Fertigkeit, mit den Dingen umzugehen, erworben.

Damit stellt sich die Frage: Bin ich, wenn ich mich als „urlaubsreif“ empfinde, auch „reif für den Urlaub“? Habe ich die „Kunst des Urlaub-Machens“ erlernt? Wenn ich „reif für die Insel“ bin, dann suche ich vor allem die Flucht aus dem Alltag. Für drei Wochen mal alles vergessen … Allerdings sollen diese drei Wochen dann auch alles gut machen, was der Alltag entbehren lässt. Und das kann diese Zeit nicht leisten.

„Reif“ für den Urlaub sein, bedeutet wohl eher, bewusst ein Gegengewicht zum Alltag zu setzen. Wenn ich im Alltag viel mit Menschen zu tun habe, suche ich im Urlaub eher für mich zu sein. Bin ich viel alleine, mag mir im Urlaub Gemeinsamkeit mit anderen gut tun. Wenn ich viel unterwegs bin, zieht es mich vielleicht, für längere Zeit an nur einem Ort zur Ruhe zu kommen.

Darauf hat mich ein Patient gebracht, der mir neulich doch tatsächlich erklärt hat, er genieße die Zeit im Krankenhaus. (Freilich hatte er wohl kaum Schmerzen.) Endlich könne er mal lesen und schlafen, so viel er wolle, bekäme nur wenig Besuch und tränke keinen Wein, wie es sonst in seinem sozialen Leben zuhause üblich sei. Das bekäme ihm außerordentlich gut. Ein Mensch, der wahrhaft „reif für den Urlaub“ ist, von dem ich lernen kann.

 

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Pfarrerin
Friederike Bräuchle (evang.)