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Positiv Denken?!
von Martin Günter 

„Man muss halt positiv denken…“ Diesen Satz höre ich immer wieder in Gesprächen - und ich höre ihn mit gemischten Gefühlen. Gewiss geht vieles leichter mit einer positiven Grundeinstellung, und man kann damit schwere Zeiten besser durchstehen.

Aber kann ich das so einfach machen, positiv denken, wenn Gefühle und schwierige Lebensumstände ganz anderes sagen? Kann ich meine Gedanken nach Belieben steuern?
Was muss man nicht alles „müssen“, gerade als Patientin oder Patient – und jetzt auch noch positiv denken? Und wenn es mir nicht besser geht, bin ich dann auch noch selbst schuld, weil mir das eben nicht gelingt…? Nein, das kann nicht sein… Und gerade in belastenden Situationen ist es ja oft wichtig, Gefühle wie Schmerz, Wut, Trauer und Enttäuschung erst einmal zuzulassen und sich ihnen zu stellen; nur so können wir lernen, mit ihnen umzugehen und sie in unseren weiteren Weg zu integrieren. Dieser notwendige Schritt wird bei der Ermahnung zum positiven Denken gerne übersprungen… 

Doch bei aller Kritik steckt für mich auch das berühmte Fünkchen Wahrheit in diesem Satz – nämlich dann, wenn ich versuche, meine Aufmerksamkeit nicht nur auf das zu fokussieren, was schwer und niederdrückend ist, sondern auch anderes in meinem Leben bewusst wahrzunehmen: das, was gut und schön ist; was bisher getragen hat; was mich vielleicht auch jetzt stärken und mir Mut machen kann – auch wenn ich innerlich gerade noch nichts davon spüre. Das können große Dinge wie Partnerschaft, Familie, Freundschaften, Glaubensüberzeugungen oder Hobbies sein… Manchmal aber auch kleine, eher nebensächliche Eindrücke des Augenblicks: Ein Lächeln, eine kurze Begegnung, ein freundliches Wort, eine Geste.

Für mich ist es besonders in dieser Jahreszeit mein morgendlicher Spaziergang mit dem Hund, bei dem ich bewusst die auflebende Natur wahrnehme: die vielen Knospen und Blüten, die intensiven Farben, Sonne und Mond am Himmel, Wolkenformen, die kühle Morgenluft – und der Gruß eines psychisch kranken Nachbarn, den er mir schon von Weitem zuruft, während er sich am Hund freut und ihm mit einem verschmitzten Lächeln ein „Wäff wäff“ hinterherschickt…
Gewiss, die Sorgen des Tages sind damit nicht weg – aber sie verlieren etwas von ihrer Schwere; sie sind eingebettet in Erfahrungen, die Herz und Verstand aufhellen und mich positiv auf den Tag einstimmen… 
 
 
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Pastoralreferent Martin Günter (kath.)